Einblicke
Der Kampf um Schokolade und Gummi: Welches Schicksal den Kakao- und Kautschukplantagen droht
Stefan Ungricht
Wie halten Sie es mit der Schokolade? Zieht man als Mass den schweizerischen Durchschnitt heran, so geniessen Sie jährlich wahrscheinlich gut 11 Kilogramm Schokoladenprodukte – in kaum einem anderen Land ist der Appetit auf diese Süssigkeit so gross. Zudem ist die Schweiz, insbesondere Zürich, die Heimat grosser Schokoladenproduzenten, deren Produkte in der ganzen Welt verkauft werden. Nicht weiter erstaunlich, dass die Schweiz in der Wahrnehmung vieler als regelrechtes «Schoggi»-Land gilt. Man sollte also meinen, dass wir auch naturwissenschaftlich etwas vom Schokoladenfach verstehen. Tatsächlich kennt man aber das natürliche Ökosystem – einschliesslich unerlässlicher Bestäuber und gefährlicher Krankheiten – selbst von wichtigen tropischen Nahrungspflanzen wie dem Kakaobaum oder auch von Nutzpflanzen wie dem Kautschukbaum bisher nur fragmentarisch. Dies könnte sich rächen.
Überliefert ist das genaue Datum und der exakte Ort. Es war der 15. August 1502 auf der dem heutigen Honduras vorgelagerten kleinen Insel Guanaja. Auf seiner vierten und letzten Reise in die Neue Welt entdeckte Christoph Kolumbus nicht nur Zentralamerika sondern auch ein dort von der lokalen Bevölkerung benutztes rituelles Nahrungsmittel und Getränk.
Die Nahrung der Götter…
Unsere heutige Schokolade hat allerdings nur mehr wenig mit dem Getränk der Mayas und Azteken gemein. Dieses war nicht süss und wurde gemischt mit menschlichem Blut getrunken. Theobroma cacao, so lautet der wissenschaftliche Name der Wunderpflanze, der ihr von Carl von Linné, dem Urvater der heutigen botanischen Taxonomie, verliehen wurde. Die Gattung Theobroma – griechisch für “die Speise der Götter” – umfasst je nach Auffassung etwa 20 Arten kleiner Bäume, welche nach heutiger Erkenntnis zu den Malvengewächsen gezählt werden und typischerweise im Halbschatten des Unterholzes in tropischen Regenwäldern wachsen.
Jährlich werden über 4 Millionen Tonnen Kakao geerntet. Der Marktwert beträgt gegen 100 Milliarden US-Dollar—Tendenz steigend. Die wachsende Mittelklasse Chinas und Indiens verschlingt immer grössere Mengen des Genussmittels. Die Hauptanbaugebiete haben sich dabei längst aus der Neuen Welt nach Afrika verlagert. Die Elfenbeinküste ist heute das wichtigste Anbauland von Kakao. Und die in Zürich domizilisierte Firma Barry Callebaut ist gegenwärtig der grösste Schokoladenproduzent der Welt. Nach der schwarzen Schokolade, der Milchschokolade und der weissen Schokolade wird von diesem Unternehmen zurzeit die vierte Art von Schokolade in den Markt eingeführt—Ruby. Doch auch unsere Hochschulen, allen voran die ETH in Zürich und die ZHAW in Wädenswil, sind damit beschäftigt, neue Verarbeitungstechnologien für Schokoladenprodukte der Zukunft zu entwickeln.
Die meisten Kakao-Varietäten, die in den Tropen heute kultiviert werden, sind Abkömmlinge von in den 1940er-Jahren ausgewählten Klonen. Dies macht die angebauten Bäume anfällig auf die gleichen Krankheitserreger und Schädlinge, und diese können sich namentlich in den Monokulturen entsprechend schnell, und mit bisweilen verheerenden Folgen, vermehren und ausbreiten. In Costa Rica reduzierte sich der Exportertrag nach dem erstmaligen Auftreten der Monilia-Fruchtfäule innert weniger Jahren um 96 Prozent. Die Erwerbsgrundlage von ganzen Bevölkerungsschichten ging so in kurzer Zeit verloren. Vergleichbares geschah im traditionellen Kakao-Anbaugebiet an der Küste von Bahia, berühmt geworden durch Jorge Amados Roman «Gabriela wie Zimt und Nelken».
…und das Weisse Gold der Ureinwohner
Mengenmässig sogar noch bedeutender als Kakao ist der Kautschuk. Jedes Jahr werden heute etwa 14 Millionen Tonnen Naturkautschuk gewonnen. Dabei ist insbesondere der Anfang der Nutzungsgeschichte der Gummibäume reich an abenteuerlichen Kapiteln. Deren Protagonisten sind zum Beispiel skrupellose Gummibarone, die während des Kautschukbooms zu unvorstellbarem Reichtum gelangten und am Amazonas ein Opernhaus bauen liessen. Oder etwa Henry Wickham, vielleicht der erste Biopirat der Geschichte, der die klandestine Ausfuhr von 70’000 Kautschuksamen nach London orchestrierte, von wo die gekeimten Pflanzen dann nach Asien weitergeleitet wurden und so schliesslich den Grundstock der grossen Kautschukplantagen in Südostasien bildeten. Oder etwa der heute wohl berühmteste aller Ethnobotaniker Richard Schultes, der sich jahrelang durch den scheinbar endlosen amazonischen Regenwald kämpfte auf der Suche nach dem Biodiversitätszentrum und Ursprungsgebiet der Gattung Hevea.
Der Kautschukbaum ist in mancherlei Hinsicht ein Pendant des Kakaobaumes, obgleich die beiden Pflanzen nicht näher verwandt sind. Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet des Wolfsmilchgewächses Hevea brasiliensis liegt wie beim Kakaobaum im amazonischen Regenwald. Das heute wichtigste Anbaugebiet liegt aber, ebenfalls vergleichbar mit der Gegebenheit beim Kakaobaum, inzwischen längst auf einem anderen Kontinent. Und wie Theobroma ist auch Hevea sehr anfällig auf gewisse Pilzkrankheiten. Vielleicht aber am erstaunlichsten: Beide Blütenpflanzengattungen sollen auf die gleiche unscheinbare Bestäubergruppe angewiesen sein—Gnitzen. Diese winzigen Mücken sind allerdings unter Feldbedingungen nicht ganz einfach zu beobachten und so hatte kürzlich eine internationale Forschergruppe unter Beteiligung des Institutes für Systematische und Evolutionäre Botanik der Universität Zürich nicht den erhofften Erfolg, die Gnitzen auf Kakaoblüten in Bolivien zu fangen und die Bedeutung dieser Insekten für die Bestäubung näher zu quantifizieren. An insgesamt 2237 untersuchten Blüten wurden bloss 13 dieser Mücken gefunden. Und keine einzige trug Pollenkörner.
Das Leben des modernen, zunehmend urbanen Menschen auf dieser Welt ist abhängig von einer erstaunlich geringen Zahl von Nutzpflanzen. So decken bloss drei Arten (nämlich Weizen, Reis und Mais) einen grossen Teil der konsumierten Kalorien der Menschheit. Die Kehrseite dieser Konzentration auf einige wenige Arten ist eine entsprechend hohe Abhängigkeit und Verletzbarkeit. Diese wird durch eine genetische Verarmung der verwendeten Kultivare bei grossflächigen Pflanzungen noch akzentuiert. Zudem wird möglicherweise der Klimawandel in absehbarer Zeit ganze Landstriche für die Kultivierung anspruchsvoller Varietäten ungeeignet machen und ausbrechende Krankheiten oder Massenvermehrungen von Schädlingen könnten sich schnell zu einer existentiellen Bedrohung entwickeln. Eine Ausbreitung von Krankheitserregern ist in Zeiten des globalisierten Handels per Frachtschiff oder gar in einem Flugzeug in kürzester Zeit möglich. Die englischen Fachnamen von bislang bekannten Pathogenen lesen sich denn auch wie unheilvolle Orakel des Verderbens: Witches’ Broom, Black Pod, Frosty Pod Rot, Swollen-Shoot Virus, Powdery Mildew, South American Leaf Blight.
Es kann darum wohl nicht erstaunen, dass wir angesichts solcher Bedrohungen unser Heil in einem traditionellen sicheren Hafen suchen—einer Bank. Genauer, einer Samenbank der wichtigsten Kultivare und ihrer wildwachsenden Verwandten. Und so kommen nun in einem eiskalten Bunker auf Spitzbergen die pflanzlichen Lebensgrundlagen der Menscheit zu liegen.
In unseren eigenen Seiten
Vertiefende Sachbücher
– Davis, Wade (1996) One River: Explorations and discoveries in the Amazon rain forest. Simon & Schuster. 537 pp. [Zentralbibliothek Zürich]
– Davis, Wade (2004) The lost Amazon: The photographic journey of Richard Evans Schultes. Thames & Hudson. 159 pp. [Zentralbibliothek Zürich]
– Dunn, Rob (2017) Never out of season: How having the food we want when we want it threatens our food supply and our future. Little, Brown and Company. 323 pp. [Zentralbibliothek Zürich]
– Young, Allen M. (2007) The chocolate tree: A natural history of cacao. 2nd edn. University Press of Florida. 218 pp. [ETH Zürich, Grüne Bibliothek]
Downloads & Links
«Die Zukunft der Schokolade». Aufgezeichnete Fernsehsendung, SRF–Einstein. Video (31:37).
«Sexual Reproduction of Cacao». Unterrichtsmaterial für Kakaobauern, CATIE & WCF. Video (14:40).
ETH–Laboratory of Food Process Engineering, Zürich.
ZHAW–Institut für Lebensmittel- und Getränkeinnovation, Wädenswil.
Svalbard Global Seed Vault, Longyearbyen.
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